Ist die Zeit reif für ethisches Wirtschaften?
Unternehmen bekommen die Mitarbeiter, die sie verdienen
2014 spricht Barry Schwartz, amerikanischer Psychologie und Sozialwissenschaftler in einem TED Talk über die Frage „Warum arbeiten wir?“ (Sein TED Talk auf Youtube). Eine seiner zentralen Aussagen, warum wir so arbeiten, WIE wir arbeiten, ist:
„False ideas about human beings will not go away, if people believe that they are true. They create ways of living and institutions that are consistent with these very false ideas.“
In unserer Gesellschaft und in Unternehmen tradieren wir mit unserem Denken und Handeln also Narrative und Mechanismen, die dafür sorgen, dass sich dieses Denken, sei die Grundannahme auch noch so veraltet oder falsch, möglichst lange selbst erhalten kann. Zwei der aktuell tradierten falschen Annahmen liegen dabei im Menschenbild. Sie betreffen Fragen der Grundhaltung und der Motivation.
Eine Frage des Menschenbildes
Evan McGregor, Professor am MIT und einer der Mitbegründer moderner Managementgedanken formulierte in den 60er Jahren zwei völlig unterschiedliche Menschenbilder.
Theory X | Theory Y |
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Der Mensch ist unwillig und grundsätzlich nicht leistungsbereit. Er will den Status-Quo und meidet Veränderung. Er meidet Verantwortung und möchte eng geführt werden. | Der Mensch ist engagiert und möchte Leistung erbringen. Er ist neugierig und will sich entwickeln. Er übernimmt Verantwortung und kann sich selbst-organisiert führen. |
Das ältere Menschenbild der Theory X ist zu diesem Zeitpunkt bereits lange in Unternehmensorganisationen tradiert. Aber eben nicht, weil Menschen tatsächlich so sind, sondern die nach dem Taylorismus gestalteten Organisationen die Menschen so gemacht haben.
In dieses Bild passt auch, wie zeitgleich die neoklassischen Wirtschaftswissenschaften den Mensch als homo oeconomicus beschreiben. Als reinen Nutzenmaximierer, der nur an sich und nicht an übermorgen oder kommende Generationen denkt.
In außergewöhnlichen Krisensituationen zeigt sich aber oftmals das wahre Bild eines Menschen. Die unbequeme Wahrheit ist, leere Klopapierregale oder Menschen die nur unter Androhung von Strafen sich und andere schützen, zeugen davon, wie recht Barry Schwartz hat, dass das selbst geschaffene Umfeld die Menschen in Richtung Theory X verändert haben.
Glücklicherweise gibt es aber eben auch andere Bilder, viel Solidarität, Kooperation, Unternehmen die schnell und flexibel in der Lage sind sich zu verändern, um akute Bedürfnisse zu befriedigen. Denn in allen Menschen schlummern mehr oder weniger stark unterschiedliche Bedürfnisse. Die Krise macht diese sichtbar und erzeugt Erkenntnis und Veränderung im großen Stil.
Es geht um Bedürfnisse und Entwicklung
Denn natürlich sind Menschen unterschiedlich. Sie wachsen in unterschiedlichen sozialen Milieus auf, sind unterschiedlich geprägt und in sehr vielen Merkmalen divers. Es ist klar, dass individuelle Bedürfnisse unterschiedlich erfüllt werden können, sich Menschen dadurch unterschiedlich entwickeln und auf dieser Basis im Alltag wie in Krisensituationen unterschiedlich reagieren.
Schauen wir uns daher Bedürfnisse, Ihre Auswirkung und mögliche Entwicklungen genauer an. Dazu nutzen wir eine Bedürfnisstruktur von Richard Barrett sowie Spiral Dynamics, um diese in der Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung zu beschreiben.
Richard Barrett führt in „Werteorientierter Unternehmensführung“ eine Struktur aus Grund- und Wachstumsbedürfnissen ein, welche in nachfolgender Grafik den Entwicklungsebenen aus Spiral Dynamics zugeordnet sind. Diese vereinfachte Darstellung wird der eigentlichen Komplexität nicht gerecht, ist aber ausreichend, um eine zentrale Frage zu bearbeiten.
Es fällt sofort auf, alle Bedürfnisse können einer Entwicklungsebene zugeordnet werden, nur die blaue Ebene bleibt unbesetzt. Da macht es Sinn sich diese Ebene genauer anzusehen.
Auf einer Werteebene steht die blaue Ebene für Stabilität und Standardisierung, Unternehmen sind hierarchisch organisiert, es wird eng über Command and Control geführt, Veränderung wird weitestgehend vermieden, Prozesse werden im Detail ausgearbeitet und sind auch so einzuhalten – Bürokratie entsteht.
In den meisten Institutionen, seien es Behörden, Vereine oder Unternehmen finden sich viele der Ausprägungen, welche die blaue Entwicklungsebene ausmachen, wieder. Und um auf Barry Schwartz zurück zukommen – diese Ausprägungen sind perfekt dafür geeignet das Menschenbild der Theory X aufrecht zu erhalten.
Und das war in der Vergangenheit auch gut. Führte doch diese Struktur dazu, dass innerhalb eines formulierten gesellschaftlichen Umfeldes die breite Erfüllung individueller Grundbedürfnisse ermöglicht wurde. Auch wenn wir in Deutschland noch viel Potential haben, wir dürfen auf das, was in den letzten 75 Jahren erreicht wurde, durchaus stolz sein, uns kurz auf die Schulter klopfen und anschließend damit beschäftigen wie sich nun Wachstumsbedürfnisse erfüllen lassen.
Die positive Nachricht dabei ist, das von Barry Schwartz formulierte Problem ist vielleicht eine ganz normale Ausprägung und die blaue Ebene bildet nur eine kleine Hürde in der persönlichen und organisatorischen Entwicklung. Doch jeder Übergang von einer Ebene in die nächste erzeugt Widerstände und kostet Kraft.
Das haben in den 90er Jahren die Unternehmen gespürt, welche LEAN Management eingeführt haben (Übergang von blau nach orange) und das spüren aktuell viele Unternehmen, welche versuchen agile Methoden einzuführen (Übergang von orange nach grün). Wir spüren es in der Diskussion um den Klimawandel und nachhaltiges Wirtschaften (grün), in der oft gehörten Ablehnung zu Coaching, Bewusstseinsentwicklung und Spiritualität (gelb) oder den großen Widerständen, gegen welche die Gemeinwohl-Ökonomie (türkis) ankämpft.
Um so größer der Abstand zwischen persönlicher Entwicklung und gesellschaftlichem Zielbild ist, um so größer der entstehende Widerstand. Liegen die Entwicklungsebenen nebeneinander, ist eine Veränderung vorstellbar, liegt eine Ebene dazwischen kann sie visionär begriffen werden, bei mehr als einer Ebene wird das Zielbild als gefährlich, Quatsch oder naive Utopie bewertet.
Ethisches Wirtschaften aus Integraler Sicht
Falschen Ideen können durch neue Ideen ersetzt werden, Veränderung und Entwicklung werden dadurch möglich, wenn sich nur ausreichend viele Menschen damit beschäftigen. Persönlichkeitsentwicklung durch Coaching beweist, dass Entwicklung durch Einsicht beim Einzelnen funktioniert. Es gilt die Reproduktionsrate der Ideen zu steigern und so durch viele individuelle Entwicklungen einen gesellschaftlicher Wandel zu unterstützen.
Es ist dabei aber notwendig, Entwicklung nicht aus Sicht eines Ziels , sondern aus Sicht des Ausgangspunktes zu betrachten. Über die aktuellen Ausprägung der globalen individuellen Integralen Profile gibt es keine umfänglichen Statistiken. Don Beck, einer der Entwickler von Spiral Dynamics hat 2003 eine quantitative Abschätzung aus Sicht der politischen Systeme entworfen. Da sich komplexe Systeme nur langsam verändern, sollten die Aussagen weiterhin Gültigkeit besitzen.
Erst seit Mitte des letzten Jahrhunderts zeigen sich die Ausprägungen der gelben und türkisen Ebene. Deren Ideen gewinnen langsam aber beständig Menschen, welche sich davon begeistern und die veralteten Ideen der Vergangenheit hinter sich lassen möchten. Diese Menschen leben großteils in der westlichen Welt, in Schwellen- und Entwicklungsländern geht es noch viel stärker ums blanke Überleben und das durchsetzen der eigenen Interessen.
Gemeinwohl-Ökonomie als ethisches Wirtschaftsmodell
Ethische Wirtschaftsmodell wie die Gemeinwohl-Ökonomie sind im Integralen Modell Kinder der türkisen Ebene. Es ist nicht verwunderlich, dass der aktuelle Ausbreitungsschwerpunkt der GWÖ daher in Europa liegt. Die GWÖ – Community in Südamerika zeigt gleichzeitig wie effektiv die Entwicklung von Menschen und Organisationen auch in Schwellen- und Entwicklungsländern erfolgen kann, wenn gerecht und solidarisch auf Augenhöhe kooperativ gearbeitet wird.
Aus unserer Erfahrung heraus befindet sich der Großteil mittelständischen Unternehmen am Übergang zwischen der blauen und orangen Ebene. Da fällt es teilweise schon schwer sich dem Thema Nachhaltigkeit (grün) strategisch zu nähern, der Gedanke einer globalen solidarisch und gerechten Wirtschaftswelt (türkis) ist schlichtweg nicht denkbar – und praktisch überhaupt nicht zu erreichen.
Bevor in einem Unternehmen intern nicht ein Bewusstsein für Gerechtigkeit und Kooperation geschaffen ist, lässt sich das auch nicht auf Kunden und Lieferanten ausweiten. Dieser Bewusstseinswandel entsteht aber erst, wenn die Organisation sich in die grüne Ebene hinein entwickelt, was zum Beispiel durch die Integration von Agilität und ökologischer Nachhaltigkeit in die Unternehmenskultur verstärken lässt.
Auch die Gemeinwohl-Ökonomie und die Menschen, welche diese Idee weiter entwickeln benötigen die Kompetenzen aus allen Entwicklungsebenen. Denn so viel Selbstkritik muss sein, mitnichten sind alle Aktiven der GWÖ hauptsächlich mit gelbem oder türkisen Bewusstsein unterwegs. Das zeigt die Konfrontationshaltung, mit welcher teilweise gegen Ausprägungen innerhalb der anderen Entwicklungsebenen, sei es Bankenwesen oder Mineralölindustrie, argumentiert wird. Wenn „entweder, oder“ anstelle von „sowohl, als auch“ formuliert und auf eine schnelle globale Metamorphose gehofft wird, anstatt eine lokale und schrittweise Evolution zu unterstützen, wird das gemeinsam nicht funktionieren.
Die Corona-Krise zeigt gerade sehr deutlich, dass in dieser lokalen Evolution zu mehr Solidarität und Kooperation die Energie steckt alte Denk- und Handlungsmuster zu verlassen. Dass den Menschen der globale Schmerz der Pandemie bewusst wird und sie gleichzeitig beginnen gegen den lokalen tatsächlich aktiv zu werden.
Der angestrebte Wandel ist umfangreich und wird Jahrzehnte benötigen. Um Ihn zu schaffen, braucht es da zum Beispiel auch die Unterstützung globaler Finanzmärkte, wie die 3Sat Dokumentation zu Grünen Kapital eindrucksvoll zeigt.
Ethisches Wirtschaften ist ein Weg, kein Ziel
Keine der Entwicklungsebenen ist besser oder schlechter. Jede Ebene stellt Kompetenzen zur Verfügung, die jeweiligen individuellen Bedürfnisse zu erfüllen. Die Grundbedürfnisse Überleben, Beziehung und Selbstachtung verlieren nicht an Relevanz, sobald sich der Mensch in seinen Wachstumsbedürfnissen entwickeln kann. Es geht darum in allen Ebenen eine gesunde Ausprägung zu entwickeln.
Die aktuelle Krisensituation hat uns allen die globale Verletzlichkeit bewusst gemacht, viele haben erkannt, dass Kooperation und Solidarität beim Umgang mit komplexen Herausforderungen viel effektiver und erfolgreicher sind als nutzenmaximierender Wettbewerb. Diese Erkenntnis im Anschluss auf die anderen gesellschaftlichen und unternehmerischen Herausforderungen zu übertragen ist ein wichtiger Teil der Krisenverarbeitung.
Dazu kann die Gemeinwohl-Ökonomie als Community und die Gemeinwohl-Bilanz als strategisches Element der Organisationsentwicklung viel beitragen. Der Weg aus der Krise ist noch lang, aber die Zeit ist reif, damit wir uns als Weltengemeinschaft darüber Gedanken machen, was wir aus der Krise lernen können. Das wir die Erkenntnis zulassen, dass ein Menschenleben in Indien eben so viel wert ist, wie eines in Deutschland. Dass wir uns darauf vorbereiten bis zum nächsten neuen Virus global Menschenleben retten zu können und bis dahin das Leben dort auch lebenswert zu gestalten.
Der wichtigste Schritt dazu ist, diese Idee in Unternehmen, Institutionen und Menschen zu verankern und veraltete Ideen auszumustern. Das wird an keiner Stelle durch Gleichmacherei funktionieren, sondern muss immer den jeweiligen persönlichen und organisatorischen Entwicklungsstand berücksichtigen.
Gehen Sie den ersten Schritt auf diesem Weg und lassen Sie sich durch die Gemeinwohl-Ökonomie dabei begleiten.
Lesen Sie auch die anderen Artikel unserer Serie rund um die Gemeinwohl-Ökonomie.
- Perspektivenwechsel Gemeinwohl-Ökonomie
- Gemeinwohl-Bilanz: Nachhaltigkeit messbar machen
- Gemeinwohl-Bilanz für Startups
- Nachhaltige Organisationsentwicklung mit dem Integralen Ansatz
- Unser Weg zur Gemeinwohlbilanz
- Ist die Zeit reif für ethisches Wirtschaften?
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