Kommunen am Scheideweg

Kommunen am Scheideweg

7. Februar 2024 Blog 0
Kommune am Scheideweg

Die Rolle kommunaler Verwaltungen hat sich im Laufe der Zeit stark gewandelt. Von reinen Dienstleistern für bürokratische Abläufe hin zu Akteuren in einem zunehmend komplexen gesellschaftlichen Gefüge. Doch während die Welt um sie herum immer komplexer wird, scheint das Modell der Verwaltung nicht immer Schritt zu halten. Dies führt zu einem Spannungsfeld, in dem die Verwaltungen agieren müssen – einerseits die steigenden Anforderungen der Bürgerinnen und Bürger zu erfüllen, andererseits die zunehmende Komplexität zu bewältigen.

Um die verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten der kommunalen Verwaltungen besser zu verstehen, nutzen wir das Modell von Spiral Dynamics. Dieses Modell beschreibt die evolutionäre Entwicklung von individuellen und gesellschaftlichen Denk- und Verhaltensweisen. Es unterteilt die Entwicklung in verschiedene Stufen oder „Meme“, die sich durch bestimmte Werthaltungen, Denkweisen und Verhaltensmuster auszeichnen. Jede Stufe baut auf den vorherigen auf und integriert diese, während sie gleichzeitig neue Möglichkeiten und Herausforderungen eröffnet. In unserem Kontext betrachten wir insbesondere die Stufen rot (machtorientiert), blau (autoritär), orange (leistungsorientiert) und grün (kooperativ).

Beispielhaftes Kulturprofil einer kommunalen Verwaltung
Beispielhaftes Kulturprofil einer kommunalen Verwaltung auf Basis Spiral Dynamics

In dem obigen skizzierten Spannungsfeld sind aktuell drei sehr unterschiedliche Entwicklungen zu beobachten:

Bewusstes und gefährliches Ausblenden von Dimensionen

Im Zuge einer zunehmenden Komplexität der Gesellschaft und der damit einhergehenden Herausforderungen für kommunale Verwaltungen gewinnt der Ansatz des bewussten Ausblendens von Dimensionen an Zuspruch. Politische Akteure, wie beispielsweise die AFD, propagieren eine Rückkehr zu vermeintlich simpleren Zeiten durch Maßnahmen wie die Schließung von Grenzen oder den Austritt aus internationalen Organisationen. Diese Maßnahmen sollen dazu dienen, die vermeintlich überfordernde Komplexität zu reduzieren. Allerdings vernachlässigen solche Ansätze wichtige Dimensionen wie den Fachkräftemangel, die Bedeutung globaler Lieferketten oder den Exportmarkt für Deutschland. Eine Maßnahme wie die Schließung von Grenzen mag zunächst den Eindruck vermitteln, dass dies die Komplexität reduziert und die Probleme löst. Doch in der Realität führt dies zu einer Eskalationsspirale. Die Schließung von Grenzen kann beispielsweise zu Engpässen in der Arbeitskraft führen, da bestimmte Branchen auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen sind. Dies wiederum könnte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen und den Exportmarkt negativ beeinflussen. Die Konsequenzen sind ein Fachkräftemangel und wirtschaftliche Einbußen, die letztendlich zu einer Verschärfung der ursprünglichen Probleme führen.

In der Terminologie von Spiral Dynamics entspricht diese Entwicklung einer Rückentwicklung aus der aktuellen blau/ORANGEN in eine ROT/blaue Ausprägung. Anstatt die Komplexität zu bewältigen, wird versucht, sie durch eine Rückkehr zu machtorientierten, autoritären und simplifizierenden Maßnahmen zu reduzieren. Dies führt jedoch zu einer Verschärfung der Probleme und einem weiteren Anstieg der Komplexität, der letztendlich das System überfordert.

Wachsen von Bürokratie und Verwaltungen

Eine weitere Reaktion auf die zunehmende Komplexität ist das Wachsen von Bürokratie und Verwaltungen. In diesem Ansatz wird versucht, mit der steigenden Komplexität Schritt zu halten, indem man die Personalkapazität erhöht oder die Organisation weiter strukturiert. Doch auch hier zeigt sich, dass eine bloße Steigerung der Kapazitäten nicht ausreicht, um mit der Komplexität umzugehen. Ein wachsender Bürokratieapparat führt zwangsläufig zu einer Zunahme von Schnittstellen in den eigenen und in andere Bereiche. Dies bedeutet, dass mehr Abstimmungs- und Koordinationsprozesse erforderlich sind, was die Komplexität des Systems weiter erhöht. Die weitere Fraktalisierung von Arbeit durch eine kleinteiligere Strukturierung führt ebenfalls zu einem Anstieg der bürokratischen Hürden und beeinträchtigt die Effizienz.

In der Terminologie von Spiral Dynamics entspricht dieser Ansatz einer Stärkung der BLAUEN Ausprägung. Es wird versucht, die Komplexität durch eine verstärkte Hierarchie und Strukturierung zu bewältigen. Doch letztendlich führt auch dieser Ansatz zum Scheitern, da er die Komplexität des Systems weiter erhöht und die Anpassungsfähigkeit einschränkt.

Verwaltung haben Lust auf Komplexität

Eine dritte Möglichkeit auf die steigende Komplexität zu reagieren, besteht darin, dass die Verwaltungen selbst mutiger werden und die Komplexität aktiv angehen. Dies kann durch eine Stärkung kundenorientierter Digitalisierungsansätze sowie einer Veränderung der Arbeitsorganisation erfolgen. Silos werden aufgebrochen, und Verwaltungsmitarbeitende arbeiten ressortübergreifend zusammen, um die Komplexitätsfähigkeit der Verwaltung zu steigern. Dieser Ansatz führt zu einem Wertewandel in der Verwaltung. Während in traditionellen Ansätzen die Werte von Stabilität, Kontrolle und Hierarchie vorherrschen, werden in einer grünen Ausprägung andere Werte relevant. Hier stehen Kooperation, Empathie, Innovation und Nachhaltigkeit im Vordergrund. Die Verwaltung erkennt die Notwendigkeit, flexibel auf Veränderungen zu reagieren und gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern Lösungen zu entwickeln.

Der Wertewandel hin zu grünen Werten legt den Grundstein für eine Verwaltung, die sich nicht mehr nur als Dienstleister, sondern als Partner der Bürgerinnen und Bürger versteht. Es entsteht ein neues Verständnis von Gemeinwohl und Nachhaltigkeit, das die Verwaltung dazu befähigt, die Bedürfnisse der Gesellschaft ganzheitlich zu berücksichtigen und langfristige Lösungen zu entwickeln.

Diese grüne Ausprägung der Verwaltung weist bereits Parallelen zu den Werten der Gemeinwohl-Ökonomie auf. Denn auch hier stehen Kooperation, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit und das Gemeinwohl im Mittelpunkt. Die Gemeinwohl-Ökonomie bietet daher einen vielversprechenden Ansatz für kommunale Verwaltungen, um ihre Arbeit im Einklang mit den Bedürfnissen der Gesellschaft und der Umwelt zu gestalten. Durch die Ausrichtung an den Werten der Gemeinwohl-Ökonomie können Verwaltungen einen Beitrag zu einer gerechteren und nachhaltigeren Gesellschaft leisten.

Gemeinwohl-Ökonomie als funktionales Werkzeug

Die Beschäftigung mit der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) bietet kommunalen Verwaltungen einen wertvollen Ansatz, um ihre Arbeit im Sinne des Gemeinwohls zu gestalten. Die GWÖ dient dabei nicht nur als theoretisches Konzept, sondern als praktisches Werkzeug, das sowohl im Prozess als auch in den Inhalten zur Unterstützung beiträgt. Die Gemeinwohl-Ökonomie basiert auf einem ganzheitlichen Wertesystem, das darauf abzielt, das Wohl aller Mitglieder einer Gesellschaft sowie die ökologische Nachhaltigkeit zu fördern. Dieses Wertesystem spiegelt sich auch in den Staatsprinzipien wider, die in vielen Verfassungen fest verankert sind. Eine Verbindung der Werte der Gemeinwohl-Matrix mit den Staatsprinzipien verdeutlicht, wie die Gemeinwohl-Ökonomie die Grundlagen demokratischer Gesellschaften unterstützt:

Gemeinwohl-Matrix für Kommunen

Menschenwürde und Rechtsstaatsprinzip:
Die Achtung der Menschenwürde ist ein zentraler Wert in der Gemeinwohl-Ökonomie. Entsprechend steht das Rechtsstaatsprinzip, das die Würde und die Rechte jedes Einzelnen schützt, im Einklang mit diesem Wert.

Solidarität und Gemeinnutz:
Solidarität ist ein Kernwert der GWÖ, der sich auf gegenseitige Unterstützung und Verantwortung füreinander bezieht. Dies entspricht dem Gemeinnutzprinzip, das die Förderung des Allgemeinwohls und der Solidarität in der Gesellschaft fordert.

Nachhaltigkeit und Umweltverantwortung:
Die GWÖ legt einen starken Fokus auf ökologische Nachhaltigkeit und die Verantwortung gegenüber der Umwelt. Dies steht im Einklang mit dem Prinzip der Umweltverantwortung, das in vielen Verfassungen verankert ist und die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen fordert.

Soziale Gerechtigkeit und Sozialstaatsprinzip:
Die Förderung von sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit ist ein zentraler Aspekt der GWÖ. Diese Werte entsprechen dem Sozialstaatsprinzip, das die Sicherung des sozialen Zusammenhalts und die Bekämpfung von sozialen Ungleichheiten zum Ziel hat.

Transparenz und Demokratie:
Die Gemeinwohl-Ökonomie legt großen Wert auf Transparenz und demokratische Entscheidungsprozesse. Dies entspricht dem Prinzip der Demokratie, das die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an politischen Entscheidungen sowie eine transparente und verantwortungsvolle Verwaltung fordert.

Die Anwendung der Gemeinwohl-Ökonomie in kommunalen Verwaltungen bietet somit einen Rahmen, um die Grundwerte demokratischer Gesellschaften zu stärken und gleichzeitig konkrete Maßnahmen zur Förderung des Gemeinwohls umzusetzen. Durch die Integration der GWÖ-Werte in die tägliche Arbeit können Verwaltungen dazu beitragen, eine gerechtere, nachhaltigere und demokratischere Gesellschaft zu gestalten.

Der Transformationsprozess und die Rolle der Gemeinwohl-Ökonomie

Die Gemeinwohl-Ökonomie bietet nicht nur einen Wertekatalog, sondern auch einen strukturierten Prozess, der kommunale Verwaltungen dabei unterstützt, sich zu transformieren und ihre Arbeit im Sinne des Gemeinwohls auszurichten. Dieser Prozess ist besonders effektiv, da er die Kommune in ihrem aktuellen gelebten Wertemodell abholt, die Werte der Gemeinwohl-Ökonomie reflektieren lässt und gleichzeitig konkrete Entwicklungspfade vorschlägt.

Abholen der Kommune im aktuellen Wertemodell:
Der erste Schritt des Transformationsprozesses besteht darin, die Kommune dort abzuholen, wo sie sich aktuell befindet. Das bedeutet, dass die bereits vorhandenen Werte, Ziele und Strukturen der Verwaltung analysiert und verstanden werden. Dabei werden auch die bestehenden Herausforderungen und Schwachstellen identifiziert, die einer Veränderung bedürfen.

Reflektion gegen die Werte der Gemeinwohl-Ökonomie:
Im nächsten Schritt werden die Werte der Gemeinwohl-Ökonomie mit den aktuellen Werten der Verwaltung konfrontiert. Es werden Fragen gestellt wie: Inwieweit entsprechen unsere bisherigen Handlungsweisen den Prinzipien von Solidarität, Nachhaltigkeit, und sozialer Gerechtigkeit? Wo gibt es Diskrepanzen zwischen unseren Zielen und den Zielen des Gemeinwohls?

Entwicklungspfade vorschlagen:
Basierend auf der Analyse der aktuellen Situation und der Reflektion gegen die Werte der Gemeinwohl-Ökonomie werden anschließend konkrete Entwicklungspfade vorgeschlagen. Dabei geht es darum, Maßnahmen zu identifizieren, die es der Verwaltung ermöglichen, sich schrittweise in Richtung einer gemeinwohlorientierten Ausrichtung zu bewegen. Dies können beispielsweise die Implementierung von partizipativen Entscheidungsprozessen, die Förderung von nachhaltigen Beschaffungspraktiken oder die Stärkung der Bürgerbeteiligung sein.

Dieser strukturierte Transformationsprozess hat den Vorteil, dass er die Verwaltung dabei unterstützt, ihre Arbeit kontinuierlich zu verbessern und sich den Herausforderungen der Zeit anzupassen. Durch die Einbeziehung der GWÖ-Werte wird eine ganzheitliche Perspektive auf die Aufgaben und Ziele der Verwaltung ermöglicht, die langfristig zu einer gesteigerten Effektivität und Legitimität führt. Gleichzeitig trägt die Implementierung von gemeinwohlorientierten Maßnahmen dazu bei, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Verwaltung zu stärken und eine aktive Teilhabe an politischen Prozessen zu fördern.

Darüber hinaus bietet die Gemeinwohl-Ökonomie einen wichtigen Gegenentwurf zu populistischen Entwicklungen, die auf simplifizierenden Lösungsansätzen und Spaltung der Gesellschaft basieren. Indem kommunale Verwaltungen die Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie in ihre Arbeit einbeziehen, können sie dazu beitragen, gesellschaftliche Zusammenhänge zu verstehen, komplexe Probleme zu bewältigen und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die demokratischen Institutionen zu stärken.

Es liegt daher im Interesse aller kommunalen Vertreter*innen, sich intensiver mit der Gemeinwohl-Ökonomie zu beschäftigen und sie als wichtiges Werkzeug für eine zukunftsorientierte und gemeinwohlorientierte Verwaltungspraxis zu nutzen. Denn nur durch eine konsequente Ausrichtung an den Werten und Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie können wir die Herausforderungen unserer Zeit bewältigen und eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen gestalten. Gerne stehe ich Ihnen für einen Austausch zur Verfügung.


Mehr zu Gemeinwohl-Ökonomie für Kommunen.

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