Innovation benötigt Imagination

Innovation benötigt Imagination

23. Oktober 2020 Blog Newsletter 4
Innovation braucht Imagination

„Wenn wir das erreicht haben, dann schaffen wir auch… .“, dieser Satz begleitet unsere Kunden, wenn wir mit Ihnen an Ausrichtung oder Visionsaspekte arbeiten. Bei der ersten Formulierung entsteht dabei selten ein großer Wurf. Die Gedanken sind gefangen im aktuellen System der Organisation, das spiegelt sich auch in der (erlaubten?) Kommunikation wieder.

In der Regel werden Inhalte benannt, die so schon vor Monate oder Jahre formuliert wurden, obwohl die Organisation ebenso lange keinen Weg gefunden hat, die formulierten Zustände zu erreichen.

„Wenn wir das erreicht haben, dann schaffen wir auch…“

Im ersten Zyklus ist das für die beteiligten Menschen ungewohnt. Geht es doch sonst um konkrete Maßnahmen und Ziele, die bis zu einem definierten Termin erreichbar sein sollen. Und jetzt sind gerade diese Elemente nicht mehr erwünscht. Weder geht es darum zu überlegen wie der Zustand erreicht wird, noch darum bis wann.

Es geht um Imagination. Das sich die Menschen vorstellen, dass sie einen formulierte Zustand erreicht hätten. Und dass Sie dabei Ihre Gedanken und Ihre Kommunikation aus den bisherigen Mustern der Vergangenheit lösen. Es geht also um kreativen Gedankenfluss, sowie Entwicklung von Lösung für unbekannte Herausforderungen.

Das geht mit jeder Wiederholung der Frage einfacher und nach drei, vier oder fünf Zyklen entstehen Visionen, die zu Beginn undenkbar oder unaussprechbar waren. Es entstehen innovative Ideen für die Organisation, Ihre Strukturen, Prozesse und Produkte. Und gleichzeitig entsteht ein Weg, der es ermöglicht die erarbeiteten Ergebnisse anderen Menschen zu vermitteln.

Auch das (richtig eingesetzt zu Recht) gehypte Format Design Thinking basiert auf diesem Ansatz. Sich einen imaginären Kunden, seine Bedürfnisse und Sorgen vorzustellen und darauf aufbauend innovative Produkte und Services zu entwickeln. Hier geht es nicht um Realisierbarkeit, sondern darum Gedanken und Kommunikationsmuster erst zu irritieren, dann neu zu gestalten und dadurch Innovation zu ermöglichen.

Im Systemischen Coaching wird der Ansatz schon seit vielen Jahren angewendet. Durch Vorstellung und Visualisierung eines imaginären Zukunftsbildes erhält der Coachee eine andere Form der Energie und ein Veränderungs-Momentum entsteht, welches auf einer planerischen Sachebene kaum erreicht werden kann.

Ist das nun beraterische Einbildung, oder lässt sich dieser Effekt wissenschaftlich motivieren?

Imagination in Kommunikation

Einen so anspruchsvollen wie interessanten Ansatz haben Gitta und Ralf Peyn in den letzten Jahren mit FORMWELT geschaffen. An zwei kleinen stark vereinfachten Ausschnitten dieses Framework möchte ich – vereinfacht und visualisierend – einen Versuch starten

Ein Element des Frameworks ist die Visualisierung von Kommunikationsmustern in sogenannten SelFis, spezielle Computerprogramme, welche eine visuelle Interpretationen von Subsystemen selbstreferenzieller Systeme spezifischer FORM ermöglichen. Oder einfacher: Programmen, welche unter anderem eingeschwungene Kommunikationsmuster in einer Organisation visualisieren können.

Die Arbeit baut auf Mathematik und Konstruktivismus, dem philosophischen Ansatz des 20. Jahrhunderts, auf und wird ergänzt um weitere interdisziplinäre Perspektiven.

Wichtig für das weitere Verständnis: Imagination ist grün, Leere ist schwarz. Blau und rot benötigen wir für den aktuellen Gedankengang nicht.

Kommunikationsmuster SLITKommunikationsmuster CoOneAnother
Dieses Kommunikationsmuster entsteht, wenn die Kommunikationspartner beide in folgender Form kommunizieren: „Schau mich an, nicht Dich.
Es findet sich heute insbesondere in Sozialen Medien wieder. Aber auch in Organisationen kennen viele sehr die Situation, dass es in Diskussionen hauptsächlich darum geht den eigenen Standpunkt zu vertreten, aber keine gemeinsame Ebene gefunden wird, ein Problem und dessen Lösung tatsächlich zu imaginieren, weiterzuentwickeln und damit zu lösen.
Dieses Kommunikationsmuster entsteht, wenn Kommunikationspartner beide in folgender Form kommunizieren: „Ich bin okay, Du bist okay, gemeinsam können wir besser werden„.
In dieser kooperativen Kommunikationsform wird die Aussage des anderen wahrgenommen, wertgeschätzt, mit der eigene Meinung abgeglichen und Bestandteile integriert. „Wenn wir Deine Meinung erreicht haben, wie können wir dann meine integrieren?“ könnte eine alternative Frage sein. So entstehen aus unterschiedlichen Meinungen neue Lösungen.
Visualisierung von SLIT
Formwelt SLIT Visualisierung
Visualisierung von CoOneAnother
Formwelt CoOneAnother Visualisierung
Auf den ersten Blick wirkt SLIT hübsch, bunt und aufgeräumt. Bei näherer Betrachtung werden aber insbesondere drei Muster erkennbar. Die Strukturen wiederholen sich, es entsteht nichts Neues. Große Flächen sind schwarz, was im obigen Kontext „Unternehmen“ unter anderem mit sinnentleerten Worthülsen übersetzt werden könnte. Und Grün, Imagination findet zwar immer wieder statt, aber nicht aufeinander aufbauend, sondern als immer wiederkehrender Versuch „Schau meine Imagination an,..“, was vom Gegenüber aber nicht aufgenommen wird.CoOneAnother wirkt auf den ersten Blick viel unruhiger. Aber auch hier werden verschiedene Muster erkennbar. Der Anteil an schwarz hat sich deutlich reduziert – hier geht es um Inhalt nicht um Worthülsen. Es entwickeln sich richtungsgebende Strukturen nach links oder rechts. Dort entstehen immer wieder grüne, kreative Imaginationsinseln. Imagination baut nun aufeinander auf, wird vom Gegenüber aufgenommen, weiterentwickelt und so entsteht im gemeinsamen Dialog tatsächlich wertvolles Neues.
Slit als Video:
https://www.youtube.com/watch?v=iAra8x7p-mY
CoOneAnother als Video:
https://www.youtube.com/watch?v=NRft459aGjs

Die streng logische mathematisch, konstruktivistische Herangehensweise von FORMWELT irritiert nachhaltig. Wer sich darauf einlassen mag, erhält – auch ohne die Computerprogramme – einen neuen Zugang zu Kommunikation und Komplexität. Eine weitere Perspektive für die Reflexion eigener Sprache und der in Unternehmen oder Projekten.

Das ist anstrengend. Aber sich zu überlegen was erreicht werden kann, wenn FORMWELT verstanden ist, ist sehr lohnenswert. Probieren Sie es doch einmal aus. Einen sehr guten Einstieg liefert die Artikelserie des Carl-Auer Verlages, ich empfehle auf Seite 3 mit dem letzten Artikel zu beginnen und sich nach vorne zu arbeiten.

Falls noch nicht gelesen, kann auch der Artikel Komplexität ist eine Frage der Modellierung, der das Komplexitätsmodell von FORMWELT mit dem Integralen Modell in einen Bezugsrahmen bringt für die eigene Einschätzung der Nutzbarkeit hilfreich sein.


Photo by Belinda Fewings on Unsplash

4 Antworten

  1. ein sehr schöner Artikel, der ermutigt, sich mit unbestimmten und imaginären Formen auseinanderzusetzen bzw. dem Beobachter EinBILDungsKraft zuzusprechen – womit Luhmannianer sich gewöhnlich sehr schwer tun. Vielleicht, weil sie – überflüssigerweise – Angst haben, sie müssten ihr bisheriges Wissen aufgeben.
    Es geht hier wohl um die grundsätzliche Frage der Entscheidung für ein WeltBILD: will ich mich „immer schon“ (uneinholbar) als Teil der Welt sehen, die ich lebe? Oder will ich sie von außen beobachten? Diese Frage können wir nur entscheiden, nicht aber begründen. Es ist eine „unentscheidbare“ Frage, wenn man mit HvF davon ausgeht, dass alle entscheidbaren Fragen schon entschieden sind oder sich irgendwann entscheiden lassen.
    „[…] mein Weltbild habe ich nicht, weil ich mich von seiner Richtigkeit überzeugt habe; auch nicht, weil ich von seiner Richtigkeit überzeugt bin. Sondern es ist der überkommene Hintergrund, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unter-scheide. (Wittgenstein)

    • Matthias Rausch sagt:

      Herzlichen Dank für die Rückmeldung. Unentscheidbare Fragen und Paradoxien sind Teil unseres Lebens. Ich mag den Gedanken, dass wir sowohl die Fähigkeit haben uns verschiedene Varianten und ihre Auswirkungen auf Systeme vorzustellen können. Das befähigt uns, uns auch selbst zu irritieren und einen Wandel für unser eigenes Weltbild zu ermöglichen und damit auch eine gesellschaftlichen Wandel anzustoßen.

  2. Sehr schöner Artikel, welcher auch die Arbeit von (verantwortlich handelnden) system(theoret)ischen Coaches, Beratern und Supervisoren mit abdeckt und einbezieht. Das „Ich bin ok/Du bist ok“-Spiel hat ja bereits Robert Anton Wilson benannt. Was mich besonders freut, ist dass mir mal jemand die bunten Bilder von Gitta und Ralf erklärt hat. Jetzt hab ich endlich eine Idee, wonach ich da suchen muss 😀

    • Matthias Rausch sagt:

      Hallo Michael,
      herzlichen Dank für Dein Feedback. Im ersten Entwurf hatte ich tatsächlich der Coaching Rolle noch mehr Raum gegeben, diesen dann aber im Sinne der Fokussierung wieder rausgenommen. Letztendlich liefern die Kommunikationsmodelle von Gitta und Ralf hier eine Erklärung, warum systemisches Coaching funktioniert.
      Die Hypothesenbildung des Coaches dient dazu eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln, welche den Coachee in Imagination führt und dort hält. Der Coachee findet dort neue Lösungen und macht mit deren Formulierung einen ersten Schritt, die eigenen Muster zu verlassen.

      Gerade weil ich den tatsächlichen Gehalt der Selfis stark vereinfacht interpretiert habe, bin ich froh, dass Gitta nicht interveniert hat. Tatsächlich falsch kann die Interpretation damit nicht sein.

      Liebe Grüße
      Matthias

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