Arbeit will Sinnhaftigkeit

Arbeit will Sinnhaftigkeit

26. Oktober 2018 Transformation 0
Sinnlose Arbeit macht Krank

Sinnlose Arbeit macht krank!

Gut zweitausend Menschen zwischen 16 und 65 Jahren wurden vom Wissenschaftlichen Institut der AOK im Rahmen des Fehlzeitenreports 2018 befragt. Einerseits über physische und psychische Beschwerden, von Rückenschmerzen bis Schlafstörungen. Andererseits über die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit, mit eindeutigem Ergebnis. Fehlt die Sinnhaftigkeit der Arbeit so tauchen Beschwerden bis zu 200% häufiger auf, sowohl aus Sicht psychischer als auch aus Sicht physischer Beschwerden.
Jetzt ist es statistisch erfasst, auch wenn es uns der gesunde Menschenverstand und das Bauchgefühl schon lange gesagt haben.

Dass es zwischen Psyche und Physis Wechselwirkungen gibt, ist dabei hinlänglich bekannt. Probleme die auf den Magen schlagen, Depression nach einem Herzinfarkt, Rückenschmerzen aufgrund von Stress. Dass es weitere Wechselwirkungen gibt verwundert in der heutigen VUKA Welt keinen mehr. Auch umgekehrt gilt, durch eine Stärkung der Psyche lassen sich körperlich Höchstleistung erbringen. Dieser Effekt lässt sich sowohl im Leistungssport als auch in der Präventivmedizin einsetzen. Interessierte Leser seien dafür an Hollmann und Strüders Buch „Sportmedizin: Grundlagen für körperliche Aktivität, Training und Präventivmedizin“ verwiesen. Auf jeden Fall relevant in unserem Zusammenhang ist was Prof. Dr. Martina Kanning am Institut für Sport- und Bewegungswissenschaften in Stuttgart dazu herausgearbeitet hat: Der Effekt ist größer, wenn Sport aus intrinsischer Motivation heraus erfolgt, wenn also Freude am Sport vorhanden ist. Wer nur Sport treibt, weil er muss, reduziert positive Effekte.

Freude an der Arbeit schaffen

Im Jahr 2000 beschrieb J. Isaksen im Journal of Humanistic Psychology in seinem Artikel „Constructing Meaning despite the Drudgery of Repetitive Work“ die Problematik fehlender Sinnhaftigkeit anhand der Betrachtung von monotonen Tätigkeiten. Er formuliert dort vier Hauptpunkten, welche geeignet sind, um Sinnhaftigkeit herzustellen.

  • Die eigene Tätigkeit in größeren Zusammenhang sehen
  • Die Bindung an die Arbeitsstelle und die Aufgabe
  • Ein aktives soziales Netzwerk am Arbeitsplatz
  • Gefühl von Verantwortung und Stolz

Die Forschungen von Höge & Schnell an der Universität Innsbruck weisen in die gleiche Richtung, dort wurde aber ein weiteres wichtiges Element erkannt. Wertekohärenz – Wie gut harmonieren persönliche und unternehmerische Werte und Normen? Wie vertrauenswürdig und integer agieren das Unternehmen und das Management?

Auch wenn es erstrebenswert ist, nicht alle Unternehmen und Tätigkeiten wirken direkt positiv auf die Gesellschaft oder die Umwelt ein. Und selbst in Unternehmen der Sozialbranche, welche per Definition eine positive Auswirkungen haben sollten, finden Mitarbeiter diesen Sinn nicht automatisch. Wenn häusliche Pflege nach Fließbandtakt abgerechnet wird, oder Entscheidungen getroffen werden, welche ehr dem Umsatz als dem Patienten dienen, geht auch dort Sinnhaftigkeit verloren.

Aber jedes Unternehmen schafft Arbeitsplätze und versorgt damit Arbeitnehmer und deren Familien. Viele engagieren sich regional, in Kultur oder Sport, gründen Stiftungen, leben Inklusion oder finden andere Wege Ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung gerecht zu werden. Häufig fehlt es an der Transparenz und vielleicht auch dem Willen einem Mitarbeiter in der Logistik oder der Produktion zu vermitteln, dass er ein wichtiger Teil dessen ist. Oder noch besser, die Mitarbeiter auch in der Gestaltung viel stärker einzubinden, in solche Themen ebenso, wie in die Gestaltung von Arbeitsprozessen, Entlohnungsmodellen oder der Unternehmenskultur. Auch ohne die Welt retten zu können, gibt es in jedem Unternehmen ausreichend Potential Sinnhaftigkeit zu erreichen.

Musterbeispiel ist die Hotelkette Upstalsboom, dessen Erfolge durch eine werteorientierte Transformation fast schon märchenhaft sind. Bei einer Verdoppelung der Umsatzzahlen reduzierte sich die Krankheitsquote von 10% auf 2%. Gleichzeitig wurden soziale Initiativen gegründet und die Freude an der Arbeit dramatisch verstärkt. Im Film „Die Stille Revolution“ wird diese Entwicklung nachgezeichnet und ein neues Bild auf den Kulturwandel in der Arbeitswelt geschaffen.

Sinnhaftigkeit – eine Frage des Menschenbildes

Dabei spielt das zugrunde gelegte Menschenbild eine entscheidende Rolle. Unumgänglich, aber bereit an vielen anderen Stellen sehr intensiv diskutiert ist die in den 60er Jahren entwickelte Theory X & Y von Douglas McGregor. Die Konzepte des Taylorismus bauen auf einem Menschenbild mit Theorie X auf, der Mitarbeiter ist dumm und faul und benötigt klare Anweisung und Kontrolle. Wohingegen AGIL nur mit dem Menschenbild der Theory Y realisiert werden kann. Innerhalb der japanischen Managementkultur wurden die Theorien und LEAN zudem kombiniert und als Theory Z formuliert. Es ist nicht verwunderlich, dass in vielen Unternehmen die Einführung von LEAN zwar durchaus Erfolge erzielt, aber in der Durchdringung in andere Unternehmensbereiche als die Produktion gebremst wird. Es prallen unvereinbare Menschenbilder aufeinander.

Anforderungen unterschiedlicher Generationen

Hinzu kommen im Unternehmensumfeld bis zu vier Generationen, welche gemeinsam unter einem Dach arbeiten. Ihre unterschiedlichen Prägungen und Lebenseinstellungen, Ihre Kompetenzen und Werte sowie Ihre Motivatoren weisen deutliche Unterschiede auf. Gut möglich, dass unternehmerische Strukturen für die einen sinnstiftend, für die anderen ehr belastend sind. Und das gilt sowohl für Mitarbeiter als auch für Führungskräfte. Eine Auflösung des Konfliktes geht nur, wenn alle Beteiligten am Tisch sitzen. Es lassen sich Wege finden, welche mit ausreichend Weitblick die Zukunft gestalten, ohne dabei Bedürfnisse einzelner zu stark zu beschneiden. Auch Menschenbilder lassen sich ändern, langsamer als ein Organigramm, aber im Rahmen eines Transformationsprozesses ist das realisierbar. Die Zukunft muss menschlich bleiben (oder es werden) und es ist unabdingbar sich einem Menschenbild zuzuwenden, in welchem Mitarbeiter als mündige, motivierte Menschen angesehen werden, welche ebenso großes Interesse am Unternehmenserfolg haben, wie der Unternehmer selbst.

Interessant dabei ist, welche Strategie sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerverbände dabei einnehmen. Beide möchten das vorhandene tayloristische Modell in Ihre Richtung optimieren. Ein gemeinsames Modell zu entwickeln, welches die Anforderungen beider Seiten unterstützt kommt nicht in den Sinn, auch die grundsätzliche Struktur wird nur vorsichtig hinterfragt. Dabei hilft ein Blick über den Gartenzaun in die Niederlande. Dort hat die Soziokratische Unternehmensorganisation bereits lange den Weg in das Betriebsverfassungsgesetzt geschafft. Als demokratische Organisationsform, welche einen so hohen Grad an Beteiligung aufweist, dass ein Betriebsrat zum Schutze der Mitarbeiter gar nicht mehr notwendig ist.

Digitalisierung – ein zweischneidiges Schwert in Bezug auf Sinnhaftigkeit

Im Rahmen der Digitalisierung ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, doch es mehren sich Anzeichen, dass Digitalisierung eher zu einer Entmündigung der Arbeit führt, als zu einer Aufwertung der Tätigkeiten. Die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter führt zwar sicherlich zu einer körperlichen Entlastung und ergonomischen Arbeitsplätzen, gleichwohl arbeitet der Mensch anschließend im Takt der Maschine. Wenn Algorithmen durch Datenaufbereitung Entscheidungen vorbereiten, welche vom Menschen nicht mehr nachvollziehbar sind, wird er zum Abnicken degradiert. Und solange sich Arbeitsorganisationen nicht verändern, nützt auch das beste Assistenzsystem nichts, wenn eine Entscheidung erst vom Chef abgenickt werden muss.
Dabei fordert bereits LEAN Organisation eine deutliche Verlagerung der Entscheidungsverantwortung an die Stelle, in welcher auch der Kundenkontakt oder die spezifische Kompetenz sitzt. Noch tun Unternehmen sich schwer, die bisherigen Strukturen, welche Ihren Ursprung im Militär des Preußischen Reiches haben, kritisch zu hinterfragen und zu verändern. Doch Veränderung ist notwendig, um mit der steigender Komplexität sinnhaft umzugehen.

Das aktuelle Forschungsprojekt MyCPS des Fraunhofer IAO bringt dazu vielleicht neue Impulse, geht es doch um die Gestaltung menschzentrierter Cyber-physischer Systeme. Das Projekt wird Ende des Jahres abgeschlossen und wir können gespannt auf die Ergebnisse sein.

Bestandteile einer Sinnoffensive

Was können Unternehmen also konkret zur Sinnstiftung tun?

An der Bedeutsamkeit der Arbeitsaufgabe lässt sich mit verschiedenen Ansätzen arbeiten. Arbeitsplatz übegreifendes Verständnis der Tätigkeit, den Beitrag zur Leistung des Unternehmens transparent machen, Erweiterung des Aufgaben- und Entscheidungsspektrums sind nur einige davon. Gerade in tarifgebundenen Unternehmen liegt hier allerdings auch eine der großen Blockaden, führt doch ein Job Enrichment, eine Arbeitsbereicherung umgehend zur Forderung nach anderen Einstufungen in ERA Tarifstrukturen. Jetzt zeigt sich deutlich, dass eine Motivation der Mitarbeiter über Geld kurzfristig funktionieren mag, langfristig aber zum Scheitern verurteilt ist, da Eigeninitiative und unternehmerisches Denken und Handeln darunter leiden. Nur eine schrittweise Organisationsentwicklung vermag diesen Zustand zu verändern. Eine Organisationsveränderung, welche von Inhabern, Führungskräften und Mitarbeitern gleichermaßen Erkenntnis, Bereitschaft und Motivation zur Veränderung – in Denken und Handeln – abverlangt.

Ebenso lässt sich die Bedeutsamkeit der eigenen Tätigkeit erhöhen, wenn es etwas Großes gibt, dass erst durch einen entsprechenden Unternehmenserfolg ermöglicht wird. Dabei ist es nicht wichtig, ob Schulen in Afrika gebaut werden, Brachflächen renaturiert, Flüchtlingskindern Sport oder Musikunterricht ermöglicht wird. Wichtig ist, dass die Mitarbeiter von der Idee, über die Gestaltung und die Realisierung dieses Engagements beteiligt werden. Es geht weniger um Geld einsammeln, es geht um Engagement erleben, um Emotionen zu teilen und diese Erfolgserlebnisse in den Arbeitsalltag mitzunehmen. Dieses Engagement sollte Teil der beruflichen Tätigkeit sein. Wenn Unternehmen erwarten, dass die Mitarbeiter Ihre Freizeit dafür einsetzen, findet eine Entkopplung der Sinnschaffung und dem Unternehmen selbst statt. Die Tätigkeit führt dann dazu, dass der Mitarbeiter selbst sein Leben als sinnhafter ansieht, nicht aber seine Tätigkeit.

Unternehmen können viele Gelegenheiten nutzen um mit einer Sinnesaufwertung zu beginnen. Eine Stressanalyse von Arbeitsplätzen im Rahmen von Sicherheit und Gesundheit, eine ISO 14001 Zertifizierung oder eine Mitarbeiter- oder Kundenbefragung bieten sich für jedes Unternehmen an. Mutige oder innovative Unternehmen wagen sich an Open Space Formate, welche die Beteiligung aller Mitarbeiter auf freiwilliger Basis ermöglichen, ideal aus unserer Sicht, wenn es darum geht unternehmerische Werte und daraus abgeleitet den Sinn des Unternehmens zu erkennen, zu beschreiben oder zu verändern.

Die eigene Tätigkeit wird als deutlich sinnstiftender angesehen, wenn dem Mitarbeiter bewusst wird, dass er Teil einer positiven Entwicklung für Gesellschaft, Ökologie oder einzelne Menschen ist. Und ein positives Sinnerlebnis führt zu mehr Engagement in der eigenen Tätigkeit und für das Unternehmen. zu mehr Freude an der Arbeit, zu produktiverem Arbeiten, zu einem besseren Dialog im Unternehmen um kontinuierlich besser zu werden, nicht nur im Prozess, auch in Führung, Kommunikation und persönlicher Entwicklung. Diese Veränderungen sind es, welche am Ende auch den Unternehmenserfolg positiv beeinflussen.

IMAS Studie Arbeitssinn

Der Fachkräftemangel ist an vielen Stellen bereits zu spüren und junge Mitarbeiter suchen sich Ihren Arbeitgeber nach anderen Kriterien aus, wie die Deloitte Studie zur Generation Z, 2015 dokumentiert hat. Die Jugendlichen nehmen viel intensiver als vorherige Generationen die Probleme der Welt auf, 75% der befragten 7.800 Millenials stellen dabei fest, dass Unternehmen nur den eigenen Gewinn im Blick haben, nicht aber Ihre gesellschaftliche Verantwortung. Und für knapp 60% ist der Sinn und Zweck des zukünftigen Arbeitgebers zentrales Entscheidungskriterium bei der Arbeitgeberwahl. Eine aktuelle IMAS Studie aus Österreich mit knapp 1000 befragten Jugendlichen bestätigt das Bild. Neben dem Wunsch nach Sicherheit, landet der Sinn des Unternehmens dort an zweiter Stelle.

Der zukünftige Unternehmenserfolg ist abhängig davon, auch in Zukunft motivierte Mitarbeiter für das Unternehmen gewinnen zu können. Unternehmen tun daher gut daran, sich frühzeitig mit der Steigerung von Sinnhaftigkeit zu beschäftigen.

Dass auch Digitalisierungs- oder Innovationsprojekte zur Sinnhaftigkeit beitragen können und welchen Einfluss Führung und soziales Gefüge haben erläutern wir im November in weiteren Artikeln in unserem Blog.

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